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Fenster für die Garnisonkirche

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Für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam ist die Tischlerei Spatzier mit der Fertigung der 12 m hohen Fensterelemente betraut. Doch nicht nur die Herstellung der komplexen Bauelemente ist eine Herausforderung, auch die Montage hat es ins sich …

Wenn heute eine Kirche gebaut wird, ist das schon etwas Besonderes. Wenn es sich dann noch um einen Wiederaufbau nach historischem Vorbild handelt, erst recht. Im Krieg schwer beschädigt, war die um 1730 gebaute Potsdamer Garnisonkirche zu DDR-Zeiten gesprengt worden. Wie viele andere Sakralbauten Ostdeutschlands fiel die Ruine damit dem ideologisch motivierten sozialistischen Städtebau zum Opfer.

Im Jahr 2005 wurde, ausgelöst durch bürgerschaftliches Engagement, der Grundstein für den Wiederaufbau gelegt. Dieser wird im äußeren Erscheinungsbild dem zerstörten Gebäude entsprechen. Im Inneren soll er den Anforderungen zukunftsorientierter Nutzungen Rechnung tragen.

Den Auftrag für die sechs knapp 12 m hohen und 2,60 m breiten Fenster erhielt die Tischlerei Spatzier aus dem zwischen Potsdam und Dessau gelegenen Wiesenburg. Der Betrieb beschäftigt 20 Mitarbeiter und ist fast ausnahmslos im Denkmalschutzbereich tätig. Seit August letzten Jahres ist Tischlermeister Jörg Spatzier mit dem Bau der Fenster für die Garnisonkirche beschäftigt. Der Auftrag umfasst insgesamt sechs 12 x 2,60 m große, aus Innen- und Außenfenstern bestehende Elemente.

Die Außenfenster: originalgetreu

Bei den äußeren Fenstern handelt es sich um einfach im Kittbett verglaste Holzfenster aus Eiche mit sieben mal drei Feldern, wobei die rechten und linken Felder als Drehflügel ausgeführt sind. Das mittlere Feld ist jeweils fest verglast. Nach oben hin schließt ein Rundbogen das Element ab. Die Flügel sind mit Fitschenbändern angeschlagen.

Für den beige-grauen Oberflächenanstrich kam ein Leinöl von Osmo zum Einsatz. Von der Profilierung her zeigen Pfosten und Kämpfer einen Halbstab, d. h. sie müssen optisch auf Gehrung zusammenlaufen, was sich fertigungstechnisch durchaus als Herausforerung darstellte.

Die Innenfenster: funktional

Innenseitig konstruierte Spatzier moderne Isolierglasfenster mit Zweifachverglasung aus VSG (442/662/). Die Rahmen sind über Federn mit dem Innenfutter verbunden. Der Abstand zwischen Innen- und Außenfenster beträgt rund 600 mm – genug Platz für Wartungs- und Reinigungsarbeiten. In den Innenfenstern ist einiges an Technik versteckt. Jörg Spatzier: »Aus dem unteren Fensterelement kommen mehr als 15 Kabel heraus, die die diversen elektrischen Komponenten wie Glasbruchmelder, Sonnenschutzanlage usw. an die Haustechnik anschließen.«

Die Montage als komplexer Kraftakt

Die Montage gestaltete sich derart komplex, dass der Tischlermeister sie gemeinsam mit einem seiner jungen Gesellen selbst übernahm. Unten außen beginnend, wurde zunächst ein 1,50 x 2,60 m großes Element (= drei Felder) eingestellt und befestigt. Dann folgten zwei aus neun Feldern bestehende Elemente à 4,50 x 2,60 m und das abschließende Bogenfenster. Die Elemente untereinander sind mit Federn verbunden und verschraubt. Das ganze 12 m hohe Fenster war zuvor probehalber in der Werkstatt zusammengebaut worden, um zu prüfen, ob alles passt.

Die Montagereihenfolge wiederholte sich innenseitig, wobei hier durch die abweichenden Fenstergrößen Flügelgewichte bis zu 165 kg zu bewegen waren. Für die Montage von Innen- und Außenfenster benötigten Spatzier und sein Geselle rund eine Woche. Mehr als 60 Kubikmeter Eiche wurden für die Fenster benötigt. Aufgrund der großen geforderten Querschnitte war es gar nicht so einfach, das Holz in den entsprechenden Dimensionen zu bekommen.

Fündig wurde Spatzier im fränkischen Steigerwald: Hier konnte er 100 mm starke Bohlen bestellen, in Längen von bis zu sechs Metern. Das Holz war bereits 2014 geschlagen und lag seitdem im Freiluftlager. Technisch nachgetrocknet konnte der Fensterbauer es dann verarbeiten – leider mit den für Eiche typischen enormen Mengen an Verschnitt. Im Herbst will Jörg Spatzier alle Fenster montiert haben und das außergewöhnliche Projekt zum Abschluss bringen.

Ein Projekt mit Ecken und Kanten

Bis zu ihrer Sprengung 1968 war die Garnisonkirche über mehr als 200 Jahre hinweg Zeuge historisch einzigartiger Ereignisse. Der Wiederaufbau ist nicht unumstritten, was u. a. der Tatsache geschuldet ist, dass sie als Potsdamer Militärkirche, der Ort war, an dem Staat, Militär und Kirche unheilvoll zusammenfanden.

So wurde hier im März 1933 der Staatsakt zur konstituierenden Sitzung des Reichstages abgehalten, bei dem es zum Handschlag Hitlers mit Reichspräsident von Hindenburg kam. Nicht zuletzt um der wechselvollen Geschichte Rechnung zu tragen, hat die Stiftung Wiederaufbau Garnisonkirche das Projekt unter den Leitgedanken »Geschichte erinnern, Verantwortung lernen, Versöhnung leben« gestellt. Die Wiedereröffnung ist für 2024 geplant.


Fensterbauer des Jahres

Die Tischlerei Spatzier wurde im Juli auf der Fensterbau/Frontale zum Fensterbauer des Jahres 2022 in der Kategorie »Produktentwicklung und Fertigung« gekürt. Der von Holzmann Medien, TSG und EBH initiierte Award würdigt herausragende Leistungen handwerklicher Fensterbauer.


Graffe_Hans_02_1c.jpgdds-Autor Hans Graffé hatte mit Jörg Spatzier bereits über die Garnisonkirche gesprochen, bevor dieser zum »Fensterbauer des Jahres« gekürt wurde. Einen guten Riecher nennt man so etwas wohl 🙂


Steckbrief

Projekt: Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam

Fenster: Tischlerei Spatzier GmbH, gegr. 1895, 20 Mitarbeiter, Fachwerkstatt für Denkmalpflege, Restaurierung und Neuanfertigung, 14827 Wiesenburg
www.tischlerei-spatzier.de

Der Beitrag Fenster für die Garnisonkirche erschien zuerst auf dds – Das Magazin für Möbel und Ausbau.


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