Unsere Fenster werden immer größer und immer schwerer. Christian Kehrer vom IFT Rosenheim beleuchtet, was das für die Beschläge und deren Befestigung bedeutet.
Auf der diesjährigen Fensterbau/Frontale in Nürnberg konnte der Trend bei der Entwicklung der Beschlagtechnik für Fenster- und Fenstertüren ganz im Sinne des olympischen Gedankens immer »größer – schwerer – breiter« weiterhin ungebrochen festgestellt werden: Dreh-Kippfenster mit Flügelgewichten über 200 kg mit entsprechender Beschlagtechnik sind schon fast Standard. Die Forderung nach DreifachIsolierglas mit Sonderfunktionen wie Einbruchhemmung oder verbessertem Schallschutz sowie der Wunsch nach großen und lichtdurchlässigen Fensterelementen treibt die Flügelgewichte oft in eine Größenordnung jenseits der 200-kg-Marke.
In einer Zeit, in der sich Profile und Rahmenmaterialien stetig verändern, die Beschlagtechnik zunehmend optimiert und der Nutzerkreis immer weniger planbar wird, stellt diese Entwicklung eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar.
Die richtige Planung der Fenster, die Auswahl und Abstimmung der Beschlagtechnik sowie die ausreichende Befestigung der tragenden Beschläge wird daher immer wichtiger. Dieser Beitrag beschäftigt sich speziell mit Dreh-/Drehkippfenstern und der zugehörigen Beschlagtechnik nebst Befestigung.
Anwendungsdiagramme nutzen!
Anwendungsdiagramme (AWD) für Dreh- und Drehkippbeschläge zeigen grafisch die Zusammenhänge zwischen zulässigen Flügelfalzbreiten und Flügelfalzhöhen in Abhängigkeit von unterschiedlichen Glas- und Füllungsgewichten auf. Wesentlich dabei ist, dass es für ein definiertes Beschlagmodell immer ein dazugehöriges Anwendungsdiagramm gibt. Bild 3 zeigt ein typisches Anwendungsdiagramm für ein Dreh-/Drehkippfenster für unterschiedliche Füllungsgewichte von 20 kg/m2 bis 70 kg/m2. Das Breiten-/Höhenverhältnis ist durch die eingezeichnete Gerade begrenzt.
Den Einfluss des Glasgewichtes sollen die folgenden Beispiele verdeutlichen.
Beispiel A. Wir gehen von einem Fensterflügel mit den Abmessungen von 1400 mm x 1900 mm (FFB x FFH) aus, der mit einer Dreifach-Isolierverglasung (Aufbau 4 mm Float –12 SZR – 4 mm Float – 12 SZR – 4 mm Float) ausgestattet wird. Aufgrund der eingesetzten Verglasung bzw. deren Aufbau ergibt sich ein Glasfüllungsgewicht von 30 kg/m2. Zeichnet man die Flügelabmessungen in das Diagramm so ein, befindet sich der Schnittpunkt der beiden Geraden links neben der gelben Linie der Glasfüllungsgewichte von 30 kg/m2 (Bild 4). Schlussfolgerung daraus ist, dass die gewünschte Fensterausführung mit dem dazugehörigen Beschlagmodell realisiert werden kann.
Beispiel B. Im nächsten Fall sollen Fensterflügel mit den Abmessungen von 1400 mm x 1900 mm (FFB x FFH) mit einer 3-fach-Isolierverglasung und Sicherheitsglas (Aufbau 4 mm Float – 12 SZR – 8 mm VSG – 12 SZR – 4 mm Float) gebaut werden. Durch die eingesetzte Verglasung bzw. deren Aufbau und dem VSG Anteil ergibt sich nun ein Glasfüllungsgewicht von 40 kg/m2. Zeichnet man nun die Flügelabmessungen in das Diagramm ein, so befindet sich der Schnittpunkt der beiden Geraden rechts neben der türkisfarbenen Linie der Glasfüllungsgewichte von 40 kg/m2 (Bild 5). Daraus folgt, dass die gewünschte Fensterausführung mit dem dazugehörigen Beschlagmodell nicht realisiert werden kann!
Die TBDK-Richtlinie
Für die Dimensionierung der Befestigung von tragenden Beschlagteilen für Dreh-/Drehkippbeschläge (Scheren- und Ecklagerbauteile) steht mit der Richtlinie TBDK (Richtlinie »Befestigung tragender Beschlagteile von Dreh- und Drehkippbeschlägen« der Gütegemeinschaft Schlösser und Beschläge e.V.) seit Mai 2014 eine entsprechende Grundlage zur Verfügung. Die Beschlagbefestigung ist grundsätzlich von folgenden Faktoren abhängig:
- Beschlagtyp (Hersteller, Typ, max. Tragkraft),
- Befestigungsmittel (Schraubendurchmesser und Schraubenlänge sowie Qualität der Schrauben),
- Rahmenmaterial der Befestigung (Holz, Kunststoff, Stahl usw.)
- Verarbeitungsparameter (Eindrehmomente, Einschraubtiefe, Überdrehung der Schrauben)
Als Vorgabewerte für die Festigkeit der Beschlagsbefestigung sind in der Richtlinie TBDK für Scheren- und Ecklager von Dreh-/Drehkippbeschlägen in Abhängigkeit des Flügelgewichtes Mindestwerte definiert (Bild 6).
Für den im Beispiel A betrachteten Fensterflügel mit den Abmessungen von 1400 mm x 1900 mm (FFB x FFH) und dem Glasfüllungsgewicht von 30 kg/m2 ergibt sich ein Flügelgewicht von ca. 80 kg. Somit beträgt der Mindestwert der Scherenlagerbefestigung gemäß Bild 6 2200 N. Der Nachweis der Einhaltung dieser Zugkraft sollte vom Fensterbauer erbracht werden, um sicherzustellen, dass die richtige Beschlags- und Befestigungsmittelauswahl auf dessen Produktionsparameter optimal abgestimmt ist.
Sicherheit geht vor
Wir leben in einer Zeit, in der architektonische Gesichtspunkte von Fenstern zunehmend im Vordergrund stehen. Gleichzeitig wird aus Kostengründen und Preisdruck optimiert und justiert, wo immer es geht. Der Planung und Abstimmung der Beschläge und deren ausreichender Befestigung sollte trotz allem die gebührende Beachtung geschenkt werden. Nur dann ist sichergestellt, dass die Fensterflügel auch hinreichend sicher über den geplanten Lebenszyklus funktionieren und sicher mit dem Fensterrahmen verbunden bleiben.
Christian Kehrer leitet die Zertifizierungsstelle des IFT Rosenheim und ist Lehrbeauftragter der Hochschule Rosenheim. Er ist Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Ausschüssen der Normung und Technik.