Als am 11. Mai 1985 während eines Fußballspieles in Bradford Großbritannien ein Feuer ausbricht, weiß noch niemand, dass dieser Tag für viele Stadionbesucher in einer Tragödie enden wird. Der traurige Höhepunkt: 56 Menschen verlieren an diesem Tag im Stadion ihr Leben. Eine Ursache hierfür: blockierte Drehkreuze und verschlossene Notausgänge. Diese wurden vom Veranstalter verschlossen, damit sich niemand während des Spiels unbemerkt Zutritt verschaffen konnte. Gut 30 Jahre später. Am 13. November 2015 sind während eines Freundschaftsspiels der deutschen Nationalmannschaft gegen Frankreich im Stade de France in Paris mehrere Detonationen zu hören. Bewusst entscheidet man sich, das Spiel weiterlaufen zu lassen, um eine Massenpanik zu vermeiden. Der Terror hat an diesem Abend nicht nur Paris, sondern die ganze Welt erschüttert.
Menschen in Stresssituationen
Zwei Stadien, mit sehr vielen Menschen besetzt, jedoch in ganz unterschiedlichen Stresssituationen. Stadien gehören sicher nicht zwingend zum Betätigungsfeld von Tischlern und Schreinern, sie stehen als Beispiel um den Blick auf die Bereiche zu lenken, in denen Menschen an verschiedensten Orten zusammenkommen.
Unterschiedlichste Anforderungen
Je nachdem, wie ein Gebäude genutzt wird, werden die unterschiedlichsten Ansprüche an die Türen bzw. die Eingangstür gestellt. Handelt es sich bei einem Gebäude um ein Wohn- oder ein Funktionsgebäude? Wie viele Personen leben, arbeiten, wohnen und besuchen regelmäßig das Objekt? Bereits die Art der Gebäudenutzung übt einen entscheidenden Einfluss auf die Konstruktion und Ausführung der Innen- und Außentüren aus. Anforderungen wie Wärmedämmung und Einbruchsicherheit für die Bewohner, Nutzer und Besitzer sind grundsätzlich umzusetzen.
Jedoch können sich auch die technischen Anforderungen an die jeweiligen Türen überschneiden. Es kann sowohl eine Fluchtfunktion, eine Panikfunktion, aber auch eine Kombination mit Amok-, Brand- und/oder Rauchschutz gefordert sein. Sämtliche Vorgaben müssen bei der Arbeitsvorbereitung bzw. bei einer Herstelleranfrage berücksichtigt werden.
Grundsätzlich ist es die Aufgabe des Planers, sich mit den gesetzlichen Anforderungen an die in einem Gebäude verbauten Türen auseinanderzusetzen. Er muss Fluchtwege planen und entsprechend ausschreiben. Jedoch steht man als ausführendes Gewerk auch in der Pflicht, auf eventuelle Planungsfehler hinzuweisen.
Schulen, Sporthallen, Pflegeheime, Krankenhäuser, Kindertagesstätten, Behörden, Arztpraxen, Hotels und Gaststätten sind Beispiele von Orten, an denen Personen mit unterschiedlichen Ortskenntnissen zusammenkommen. Hier muss im Grundsatz unterschieden werden, ob es sich um einen Bereich mit öffentlichem oder mit nicht öffentlichem Personenverkehr handelt.
Hier unterscheiden sich die grundlegenden Ansprüche an die Türverschlüsse. Während Bereiche wie z. B. öffentliche Gebäude mit Personenverkehr ohne nähere Ortskenntnis mit Panikverschlüssen nach EN 1125 ausgerüstet sein müssen, sind für diejenigen Bereiche, an denen die Nutzer mit den Örtlichkeiten vertraut sind, Notausgangsverschlüsse nach EN 179 erforderlich. Bei einem Schulgebäude beispielsweise sind die Türen der Klassenräume, die als Notausgangstüren im Rettungsweg beschildert sind, nach EN 179 zu betrachten. Die Außentüren im Fluchtweg des Schulgebäudes sind als Paniktüren nach EN 1125 auszuführen.
Was darf ich als Tischler …
Sind Panik- bzw. Notausgänge nach einer bestimmen EN Norm wie z. B. der EN 14351-1 gefordert, benötigt man als Handwerker eine gültige Zertifizierung für das »G-Konformitätszertifikat« nach der jeweilig geforderten Norm, etwa von IFT Rosenheim. Dort erhält man alle notwendigen Informationen rund um eine Zertifizierung der eigenen Produkte. Wird man nur gelegentlich mit diesen Anforderungen konfrontiert, ist man gut beraten, solche Aufträge an spezialisierte Unternehmen weiterzugeben.
Nicht jede Innen- bzw. Außentür in oben genannten Gebäuden muss eine zertifizierte Tür sein. Hier liegt eine Nische, die man als Tischler und Schreiner durchaus nutzen kann. Auch Reparaturaufträge oder Umbauarbeiten an solchen Türen, z. B. in einem historischen Bestand, sind durchaus nicht unüblich.
… z. B. bei Reparaturaufträgen?
Hier gilt es zu beachten, dass bei Reparaturaufträgen von entsprechenden Türen, nur die originalen Bauteile als Ersatzteile eingebaut werden dürfen. Sind die Teile nicht mehr zu bekommen, muss man den Auftraggeber darüber informieren, dass die Tür ggf. nicht mehr in Übereinstimmung mit den Herstellervorgaben instand gesetzt werden kann. Jeglicher Schriftverkehr ist zu dokumentieren, damit Sie im Ernstfall nachweisen können, fachgerecht gehandelt zu haben. Dabei ist die Nutzung fachlicher Seminare und Weiterbildungen für solche Aufträge von Vorteil.
Generell gilt: normgerechte Schlösser mit den jeweilig zugelassenen Beschlägen verarbeiten! Bevor man sich auf die Angebote des Handels verlässt, sollte man die einzelnen Komponenten auf die Zulassung des vorliegenden Verschlusses prüfen. So ist es im Reparaturfall besser, das komplette System zu ersetzen.
Notausgang- vs. Panikverschluss
Während Notausgangsverschlüsse von der Innenseite eines Raumes durch eine Handbetätigung über eine für das jeweilig verbaute Schloss zugelassene Garnitur geöffnet werden können müssen, ist durch Panikverschlüsse ein sicheres Entkommen mit minimaler Anstrengung ohne Vorkenntnisse des Verschlusses aus einem Gebäude zu ermöglichen. Egal, ob es sich um eine erwachsene Person, ein Kind oder einen Menschen mit Behinderung handelt. So ist in diesem Bereich eine schwenkbare Griffstange oder eine Druckstange erforderlich, damit eine Türöffnung bei einer Berührung des Türflügels über die gesamte Türbreite möglich ist.
Bei der Konstruktion von Panik- und Fluchttüren muss beachtet werden, dass diese Türen im Fluchtweg sich bestenfalls in Fluchtrichtung öffnen lassen. Hier gibt es besondere Ausnahmeregelungen, für diese ist jedoch eine gesonderte Genehmigung erforderlich. Bei Außentüren, die nach außen öffnen, gilt es entsprechende Bandsysteme, die den Einbruchschutz gewährleisten, einzusetzen. Außerdem muss beachtet werden, dass durch das Öffnen der Tür keine anderen Personen geschädigt werden (Treppenhäuser, Gehwege usw.).
Mindestdurchgangsmaße beachten
Für Fluchtwege in Gebäuden mit einer bestimmten Anzahl von Personen gelten vorgeschriebene Mindestdurchgangsmaße. Ein wichtiges Maß ist hier die Mindestdurchgangsbreite von 875 mm bei einem Fluchtaufkommen von bis zu fünf Personen bzw. 1200 mm bei einem Aufkommen von bis zu 200 Personen. Die Durchgangsbreite darf nie unter 800 mm liegen. Zu berücksichtigen ist, dass in den Fluchtweg ragendenBeschlagteile (bei 90° geöffneter Tür) beim Messen abgezogen werden.
Die Mindestdurchgangsbreite kann auch durch eine zweiflügelige Türlösung erreicht werden. Hier müssen die verbauten Verschlüsse für den Gang- und Standflügel ebenfalls aufeinander abgestimmt und zugelassen sein, sodass bei einer Betätigung der Griffstange des Standflügels eine vollständige Türöffnung erfolgt. Für die Türfalze muss eine Falzluft zwischen 4 und 6 mm im Schlossbereich eingehalten werden. Außerdem ist es erforderlich, bei einer zweiflügeligen Türvariante darauf zu achten, dass es in dem Bereich zwischen Stand- und Gangflügel während des Öffnungsvorgangs nicht zu einer Zwängung oder Quetschung kommen kann.
Eine aufbauende Bodenschwelle darf nur gemeinsam mit einer Rampe verbaut werden. Besser ist es, den Anschlag und die Abdichtung der Tür im Fußbodenbereich durch entsprechende bauliche Maßnahme im Vorfeld zu gewährleisten.
Es dürfen ausschließlich Bauteile zum Einsatz kommen, die zum jeweiligem Beschlagsystem gehören. So muss z. B. auch der Vierkantstift mit der Garnitur geliefert werden. Er darf nur im Auslieferungszustand und nicht gekürzt montiert werden.
Die Abmessungen der Türen sollten so gestaltet werden, dass sie jedermann, egal ob Kind, Mensch mit Handicap oder Rollstuhlfahrer, bei Bedarf auslösen und öffnen kann.
Zu hoch, zu breit und zu schwer ausgeführte Türen werden bei Sturm im ungünstigsten Fall zugedrückt. Diese könnten dann zu einem Hindernis oder gar zu einer Falle werden. Daher ist es ratsam, die Türen mit einem zugelassenen automatischen Türschließersystem auszurüsten. Diese gibt es auch für nach außen öffnende Türen und sie können auch auf der Türinnenseite montiert sein mit einem Endanschlag, einer Feststelleinrichtung und einer Schließfolge für zweiflügelige Türen. Letztlich entscheidet das Gesamtpaket über die Anwenderfreundlichkeit der Türanlage. Verglaste Paniktüren können für Einbrecher mitunter sehr einladend wirken, daher ist es ratsam, zusätzlich zu den geforderten Ansprüchen an die Verglasung eine entsprechende Sicherheit einzubauen.
Schlösser für Flucht- und Paniktüren
Da Flucht- und Paniktüren in unterschiedlichen Einbausituationen montiert werden, sind unterschiedliche Schlossvarianten erhältlich. Hier werden von den Herstellern ausschließlich hochqualitative, für einen langen Nutzungszeitraum und viele Schließzyklen ausgelegte Varianten angeboten. Das ist auch zwingend erforderlich, da die Türen in öffentlichen Bereichen wesentlich häufiger genutzt werden als Türen im privaten Bereichen. Es sind Schlösser in den Standardausführungen, aber auch als Mehrfachverriegelungen sowohl mit Bolzen, mit Schwenkriegel oder kombiniert in unterschiedlichen Dornmaßen erhältlich. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal von Panikschlössern ist das Vierkantmaß von 9 mm.
Funktionen bei Panikschlössern
Die Umschaltfunktion B ermöglicht zusätzlich zur Panikfunktion das Öffnen der Tür über einen Türdrücker entgegen der Fluchtrichtung. Dies ist durch eine Entriegelung mit dem Schlüssel möglich. Diese Türen können gleichzeitig als Eingangstür dienen, müssen jedoch mit einem zulässigen Beschlag, der über einen geteilten Vierkantstift verfügt, ausgerüstet werden. Wurde die Fluchtfunktion ausgelöst, ist die Tür nach dem Zufallen wieder entgegen der Fluchtrichtung verschlossen. Das Zurückflüchten ist somit nicht mehr möglich.
Die Durchgangsfunktion D ermöglicht ebenfalls zusätzlich zur Panikfunktion das Öffnen der Tür entgegen der Fluchtrichtung. Auch hier kann die Tür, freigegeben durch den Schlüssel, gleichzeitig als Eingang genutzt und über einen zugelassenen Beschlag mit geteilter Nuss bedient werden. Der Unterschied zum Panikschloss mit Umschaltfunktion B besteht darin, dass das Schloss nach dem Auslösen der Fluchtfunktion von beiden Seiten zugänglich bleibt und ein Zurückflüchten möglich ist.
Panikschlösser mit der Wechselfunktion E lassen sich von außen ausschließlich mit dem Schlüssel öffnen. Nach der Nutzung der Fluchtfunktion und dem Zufallen der Tür bleibt diese von außen verschlossen. Hier müssen zulässige Garnituren verbaut werden, die von außen keine Öffnungsmöglichkeit bieten, da diese nicht separat abgeschlossen werden kann.
Grundsätzlich gilt es bei der Auswahl des Schließzylinders auf die Herstellerangabe zu achten. Je nach Hersteller oder Schlossbauart kann es erforderlich sein, Freilaufzylinder einzusetzen. Diese blockieren den Schließzapfen nach dem Entfernen des Schlüssels nicht, sondern geben dem Schloss die Öffnung des Zylinders frei. Die Schließsicherheit wird durch diese Funktion nicht beeinträchtigt.
Beobachtungen aus der Praxis
Es kann vorkommen, dass man in einem öffentlich zugänglichen Gebäude bei Türen in Fluchtbereichen Folgendes beobachtet:
Zweiflügelige Paniktüren ohne Griff- oder Druckstange. Standflügel mit einem einfachen Kantenriegel (Griffhöhe über 1600 mm)
Herunterhängende Türdrücker, die allzu oft ein Hinweis auf einen verschobenen aufschiebbaren Distanzausgleich bzw. Ausgleichshülsen sind. Dieser Distanzausgleich dient zur Verwendung eines nicht geeigneten Türdrückers! Der Einsatz von aufschiebbaren Ausgleichshülsen ist weder auf dem Vierkant noch zur Montage des Türdrückers erlaubt oder zulässig.
Blindzylinder, Zylinderabdeckungen und Füllstücke im Schließblech, die als Schutz vor versehentlichem Abschließen montiert wurden, sind ebenfalls keine Panik- oder Fluchttürbeschläge!
Nach außen öffnende Panik- und Fluchttüren, die mit keinem oder einem viel zu kleinen Türschließer ohne Anschlag montiert wurden. Hier wird in Kauf genommen, dass bei einer entsprechenden Windstärke Schäden an der Tür, dem Nutzer der Tür oder dem Gebäude entstehen können.
Spricht man solche Fälle an, wird sich allzu oft auf den sogenannten Bestandsschutz berufen. Dieser tritt bei der Verwendung solcher fragwürdigen Mittel nicht in Kraft. Hier hat man als Fachmann eine Hinweispflicht gegenüber dem Betreiber.
Auch Betreiber in der Pflicht
Flucht- und Paniktüren könnten von ungebetenen Gästen genutzt werden. Daher ist es in gewissen Einbausituationen erforderlich, zusätzlich einen Signalgeber zu montieren, der bei einer Türöffnung ein lautes Warnsignal ertönen lässt.
Hier ist zu beachten, dass diese Systeme die Bedienung des Beschlages nicht einschränken und für das jeweilig verbaute System zulässig sind. Besser ist es, dieses bei dem Hersteller des Beschlages direkt mit anzufragen. Es werden auch Systeme mit elektronischer Schließung und einer entsprechenden Fluchttürsteuerung angeboten. Eine entsprechende Planung und Vorbereitung im Vorfeld ist vorteilhaft. Solche Systeme können bis hin zu einer Zugangs- und Fluchtwegüberwachung ausgebaut werden.
Auch bei einer Flucht- oder Paniktür sind vom Betreiber Pflichten wahrzunehmen. Die Türanlage ist in regelmäßigen Abständen von einer sach- und fachkundigen Person zu überprüfen. Sämtliche Reparaturen, Einstellungs- und Wartungsarbeiten sind von geeignetem Fachpersonal durchführen zu lassen und sollten dokumentiert werden. Letzteres ist leider nicht zwingend vorgeschrieben, aber was für Brand- und Rauchschutztüren gilt, sollte auch oder gerade im Panik- und Fluchttürbereich Anwendung finden. Es ist jedoch erstaunlich, dass es für die Fluchtwegbeschilderung bzw. -beleuchtung weit mehr Vorschriften gibt, als für die Panik- und Fluchttür! Hier sollte der Gesetzgeber nachbessern.
Fazit: ein komplexes Feld
Die Eingangstür ist eines der elementaren Bauelemente eines Gebäudes. Egal, ob historischer Altbau, der durch eine entsprechende Sonderanfertigung eine neue Eingangstür bekommt, oder der Neubau, der mit einer Eingangstür vom Zulieferer bestückt wird. Werden Gebäude von objektfremden Personen ab einer gewissen Anzahl genutzt, gilt es sicherzustellen, dass die im Fluchtweg verbauten Türen im Fall einer Notsituation als Flucht- und Rettungsweg dienen. Das heißt, sie müssen schnell, sicher und einfach auch im verschlossenen Zustand zu öffnen sein.
Für Flucht-, Notausgangs- und Paniktüren gelten komplexe Sicherheitsvorschriften, die länderspezifischen Vorgaben und EN-Normen unterliegen. Der Planer muss in der Ausschreibung die geltenden rechtlichen Normen und die von den Bauherren geforderten Eigenschaften genau definieren und deklarieren. Der Gesetzgeber sollte klare Vorgaben schaffen, sodass Türen in Fluchtbereichen von öffentlich zugänglichen Gebäuden in regelmäßigen Abständen von fach- und sachkundigen Personen kontrolliert, gewartet und beschlagstechnisch auf den Stand der aktuellen Technik gebracht werden. Nur so können einheitliche Standards in Neu- und Bestandsbauten aufgebaut, umgesetzt und eingehalten werden.
Tischlermeister Stefan Böning schreibt in dds immer wieder über Themen, die ihm in seinem Arbeitsalltag begegnen. Die Beschlagtechnik bei Flucht- und Paniktüren ist komplex, das weiß er nicht erst seit diesem Beitrag.
Der Beitrag Türen, die Leben retten erschien zuerst auf dds – Das Magazin für Möbel und Ausbau.